Führen vs. Verwalten

Wem dient deine Arbeit – wirklich?

Zwei Haltungen – zwei Führungsbilder

Es gibt zwei grundsätzliche Haltungen zur Führung: Die einen sehen sich in der Verantwortung, Menschen zu fördern, zu entwickeln und stolz zu machen. Die anderen verstehen Führung als Kontrolle – Menschen als Funktionsträger, die zu steuern, zu verwalten und zu optimieren sind. Erfolge gehören der Führung, Fehler trägt das Team. Ein vertrautes Muster.

Die Fassade moderner Führung

Was früher hinter verschlossenen Türen passierte, ist heute ins Rampenlicht gerückt. Die Rolle des Menschen in Organisationen ist nicht länger verhandelbar – auch die konservativste Führungskraft hat das inzwischen verinnerlicht. Es ist ein Modethema geworden: Menschlichkeit in Führung. Designermöbel, Kaffeemaschinen und offene Duz-Kultur vermitteln Offenheit und Fortschritt. Doch allzu oft bleibt das System dahinter unverändert.

Woran man echtes Führungsverhalten erkennt

Denn entscheidend ist nicht das Ambiente, sondern ob das System Führung als Werkzeug zur Entwicklung begreift – oder weiterhin zur Kontrolle nutzt. Die Frage lautet: Arbeitet meine Führung daran, mich zu befähigen – oder mich zu verwalten?

Ob eine Organisation auf echter Beteiligung aufbaut, zeigt sich im Alltag. Wer kontrolliert? Wer entscheidet? Welche Fragen werden gestellt? Wie sichtbar ist die Führung? Geht es um Austausch – oder um Abfrage? Wer hinhört, erkennt schnell, ob Vertrauen gelebt wird oder nur vorgetäuscht.

Kontrolle als Gewohnheit – nicht als Absicht

Viele Führungskräfte – das ist meine Erfahrung – glauben weiterhin, ihre Aufgabe bestehe darin, Abläufe effizient zu gestalten, Zielvorgaben zu sichern und Menschen in Strukturen zu halten. Nicht aus Bosheit, sondern weil sie es so gelernt haben. Sie wollen das Beste – für das Unternehmen. Und doch führt genau dieser Ansatz dazu, dass das eigentliche Potenzial verloren geht.

Ein LinkedIn-Artikel bringt das Dilemma treffend auf den Punkt: Führung schwankt oft zwischen Kontrolle und echter Befähigung – mit spürbaren Folgen für Kultur, Dynamik und Motivation.

Mathematisch gedacht: das Potenzial der Verbindung

Dabei ist die Rechnung einfach – oder gerade nicht: Wenn eine Organisation 50 Menschen beschäftigt und jede*r bringt zehn Gedanken, Ideen oder Wissensimpulse mit, ergibt das zunächst 500 Einzelteile. Doch das wahre Potenzial liegt in den möglichen Verbindungen: Wenn es keine Barrieren gibt und sich diese 500 Impulse in allen denkbaren Kombinationen verbinden lassen, ergibt sich eine mathematisch unfassbare Dimension: 500! – eine Zahl mit 1135 Stellen. Zum Vergleich: Die geschätzte Anzahl der Atome im Universum liegt bei 10 hoch 80.

Natürlich hinkt das Bild, aber es macht den Unterschied deutlich: Eine Organisation, die alle Gedanken frei fließen lässt, ist ein Universum. Im Gegensatz dazu: Wenn nur fünf Menschen an der Spitze entscheiden und deren je zehn Gedanken miteinander wirken, sind es 50! Kombinationen – ein Sandkorn im Vergleich.

Wir unterschätzen diesen Unterschied kolossal. Wir denken in Addition – 1+1=2. Aber Organisationen sind keine Rechenaufgaben. Sie sind Systeme mit exponentiellem Potenzial. Wenn Menschen sich wirklich verbinden können, entsteht Dynamik, die kein Top-down-System je erreichen kann.

Warum klassische Führung die Zukunft verpasst

Die Herausforderungen unserer Zeit – Disruption, Unsicherheit, Komplexität – lassen sich nicht mit klassischen Führungsinstrumenten beherrschen. Dort sperrt man Ideen in Abteilungen, trennt Menschen nach Zuständigkeit und erzeugt Silos, wo eigentlich Netzwerk gefragt wäre. Was es braucht, ist Verbindung. Mobilisierung. Vertrauen.

Ein lesenswerter Artikel in Time (Juli 2025) betont, dass Unternehmen heute nur dann dauerhaft bestehen können, wenn sie Führung nicht länger als Steuerung, sondern als Ökosystementwicklung begreifen. Transformation gelingt nur durch Vertrauen, Beziehung und geteilte Verantwortung.

Auch der Beitrag „The Future of Leadership: Shifting from Control to Empowerment“ zeigt praxisnah, warum der Weg zur wirksamen Führung nicht über noch mehr Struktur, sondern über den Raum zur Selbstwirksamkeit führt.

Was wirklich zählt: Das System

Die spannende Frage bleibt: Kann ich als Führungskraft überhaupt etwas verändern? Ich habe es anders gelernt, war erfolgreich damit. Muss ich mein Wesen ändern?

Nein. Du musst nicht dein Inneres umkrempeln. Du musst nur am System arbeiten. Und das geht nur mit den Menschen, nicht über sie. Du musst Strukturen schaffen, die ermöglichen statt begrenzen. Räume öffnen, in denen Menschen gestalten können. Ohne Schranken. Ohne Angst.

Auch Forbes betont in einem aktuellen Artikel, dass „Systems Thinking“ heute zu den zentralen Fähigkeiten von Führungskräften gehört. Nicht einzelne Maßnahmen sind entscheidend – sondern das Verständnis für das Zusammenspiel aller Elemente im System.

Für wen arbeitet dein System?

Frage dich ehrlich: Für wen arbeitet dein System eigentlich? Sag bitte nicht: für das Unternehmen, die Gesellschafter oder den Gewinn. Das ist eine verdrehte Sichtweise. Ein Unternehmen muss ein System schaffen, das einzig und allein dafür da ist, die Menschen, die darin arbeiten, erfolgreich, wirksam und zufrieden zu machen. Punkt.

Alles andere folgt daraus. Effizienz. Innovation. Wirtschaftlicher Erfolg. Wer Menschen befähigt, gewinnt. Wer sie verwaltet, begrenzt.

Führung ist keine Checkliste. Sie ist kein KPI. Sie ist ein Hebel – für Vertrauen, Mut und Bewegung. Wenn das System darauf ausgerichtet ist, entsteht mehr, als man sich vorher ausmalen konnte.

Denk in Ruhe darüber nach: Für wen arbeitet dein System?